Presse 2016


14.10.2016

In der Apfel-Sprechstunde

Streuobst: Bei der Sortenbestimmung mit Pomologe Werner Nussbaum - "Mensengesäßer Gelber" entdeckt

"Der woll­te ei­gent­lich ei­ne Rü­be wer­den." Wer­ner Nuss­baum (62), Sp­re­cher des Po­mo­lo­gen-Ve­r­eins Lan­des­grup­pe Hes­sen, ist gna­den­los, wenn es um die Ei­gen­schaf­ten von Äp­feln geht. In die­sem Fall trifft es den Rhei­ni­schen Win­ter­ram­bur, den Bern­hard Gr­ein (39) aus Krom­bach zur Obst­s­or­ten­be­stim­mung des Möm­b­ri­ser Obst- und Gar­ten­bau­ve­r­eins am Don­ners­ta­g­a­bend mit­ge­bracht hat.

Nussbaum ist Gärtner von Beruf, die Pomologie sein Steckenpferd. Besonders geht es ihm um den Erhalt von alten Sorten, die vom Aussterben bedroht sind.

31 Besucher am Bestimmungstag

Entdeckt werden sie meist bei den Bestimmungsterminen, eine Art Apfel-Sprechstunde. Und auch in Mömbris, wo 31 Besucher mit 34 Apfel- und vier Birnensorten gezählt wurden, scheint er fündig geworden zu sein: Alexander Vorbeck (Heimbach) vom Aschaffenburger Streuobstprojekt Schlaraffenburger hat vermutlich den "Mensengesäßer Gelber" mitgebracht. Nussbaum will das erst noch eingehend prüfen. Handelt es sich tatsächlich um diese Sorte, will er sie in die Baumschulen bringen, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Zurück zum Rheinischen Winterrambur. Zum Vergleich legt der Pomologe den Brettacher daneben. Der sieht auf den ersten Blick genauso aus wie der Winterrambur. Auf den zweiten Blick glänzt der Brettacher mehr.

Der Brettacher prickelt

Den "richtigen" Unterschied spüre man spätestens beim Essen: "Der Brettacher prickelt fast auf der Zunge." Am besten schmecke er im Februar, denn dann habe er durch die lange Lagerzeit eine feine Säure entwickelt. Dieser Tafelapfel sei haltbar bis Mai, eigne sich auch hervorragend zum Backen und er habe wenig Zucker.

Hugo Bergmann (79) aus Mömbris freut sich über diese Bewertung, denn der Brettacher wächst auf den beiden Bäumen, die er vor Jahrzehnten im Zuge der Flurbereinigung gekauft und gepflanzt hat. Sie mussten natürlich nicht erst bestimmt werden; sie waren Teil der kleinen Obstausstellung, die den Bestimmungstermin im Vereinsheim begleitete.

Entdeckt wurde der Brettacher um 1910 als Zufallssämling in Brettach, in der Nähe von Heilbronn. Der Rheinische Winterrambur war schon um 1650 bekannt und eignet sich gut fürs Keltern; was Grein bestätigt: "Wir machen daraus Apfelsaft oder Apfelwein."

Greins Opa hat die ersten Äpfel um 1950 gepflanzt, heute hat die Familie in Wertheim und in Krombach insgesamt rund 200 Obstbäume. Beim Termin in Mömbris sei er überrascht worden, denn zwei unterschiedlich aussehende Äpfel - der eine mehr grün, der andere mehr rot - hätten sich als Äpfel der einen Sorte Winterrambur entpuppt.

Nur noch ein Baum existiert

Apropos Opa. Der von Nussbaum hatte früher in Altenmittlau eine Streuobstwiese. "Schon als Kinder haben wir dort die Äpfel gepflückt", erinnert sich der Pomologe. Die Liebe zu den Äpfeln und das Bestreben, die alten Sorten zu erhalten, wurden Nussbaum also in die Wiege gelegt.

Die Landesgruppe Hessen kürt deshalb seit 2003 eine hessische Lokalsorte als "Apfel des Jahres". Heuer ist das der Weilburger, eine Sorte, die seit etwa 1799 bekannt ist, aber lange Zeit als verschollen galt. Bei einem Sortenbestimmungstermin wurde sie wiedergefunden: "Es existierte nur noch ein Baum", weiß der Pomologe.

Viele Raritäten aufgetaucht

Die Arbeit lohne sich: Anfangs seien es 30 alte Sorten gewesen, heuer 70 Raritäten wieder bekannt. Sie alle sollen durch Veredelung für die nächsten mindestens 100 Jahre erhalten werden.

Marion Stahl © 2016 Main-Echo

Artikel vom 14. Oktober 2016,
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